Grimme Online Award 2017

Statement der Jury

Das Web ist mehr als nur ein Medium – es ist eine ständig wachsende Vielfalt von Darstellungsformen. Genau deshalb ist der Grimme Online Award auch einer der abwechslungsreichsten und spannendsten Medienpreise. Hier entscheidet nicht nur der Inhalt über eine Nominierung und Auszeichnung, sondern auch die Form. Denn sie erleichtert den Zugang zu schwierigen Themen, vereinfacht komplizierte Verhältnisse, erweckt trockene Daten zum Leben und macht fremde Welten erlebbar. Aus diesem Grund ist die Form für uns als Jury ein ebenso relevantes Bewertungskriterium wie der Inhalt.

Die unendlichen und immer neuen Möglichkeiten der digitalen Welt machen die Wahl der richtigen Darstellung zwar spannend, aber auch nicht gerade einfach. Doch wie gut es funktioniert, wenn die richtige Form gefunden ist, zeigen nicht nur die Preisträger, sondern alle Nominierten des diesjährigen Grimme Online Award.

Aus 28 + 1 wunderbaren Nominierungen haben sich am Ende acht Sieger durchgesetzt, bei denen Inhalt, Form und das Zusammenspiel beider durchweg gelungen sind. 

Warum +1? Unter den Einreichungen befand sich, nach Meinung der Jury, noch ein kleines Juwel, welches eine genauere Betrachtung und letztendlich auch eine Auszeichnung verdient hat: Die nachnominierte "Resi-App" erhält als in Deutschland brandneues Nachrichtenformat einen Preis. Mit Conversational Journalism schafft der redaktionell gepflegte Chat-Bot einen spannenden Zugang zu tages-, sogar minutenaktuellen Nachrichten für junge und jung gebliebene Nutzer auf dem Smartphone.

Dass gute Ideen auch dann preiswürdig sein können, wenn es nicht die eigenen, sondern sie gut adaptiert sind, beweist auch die Organisation von #ichbinhier. Hier steht der Dienst an der Gesellschaft im Vordergrund: Alle, die den Hashtag konstruktiv nutzen, setzen sich aktiv für eine bessere Diskussionskultur und gegen Hass und Hetze im Netz ein. Für die Jury ein auszeichnungswürdiges Engagement. 

Gerade im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl im September dieses Jahres ist der "WDR-Kandidatencheck" zur Landtagswahl in NRW ein richtungweisendes Format. Das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist eine wichtige Hilfestellung für mehr Durchblick im Dickicht der Demokratie. Die Macher orientierten sich dabei an internationalen Vorbildern und haben eine passende lokale Adaption ins Leben gerufen.

Mit diesen Auszeichnungen wird deutlich, dass es nicht immer notwendig ist, das Rad komplett neu zu erfinden. Es ist ebenfalls achtbar und wünschenswert, dass bereits anderorts bestehende gute Ideen und sinnvolle Formate auf den deutschen Markt übertragen und hiesigen Nutzern zugänglich gemacht werden.

Außergewöhnlich ist bei den diesjährigen Gewinnern auch, dass sie sich weder in Form noch im Inhalt ähneln. Wir als Jury sehen das als Zeichen für die große Vielfalt, die das Web heute für Erzählformen und Informationsvermittlung bietet. Zugleich zeigt es aber auch die Begeisterung, die Neugierde und den Mut aller Preisträger, sich mit diesen Möglichkeiten zu befassen.

Form und Inhalt harmonieren bei allen Preisträgern perfekt. Hierbei sticht vor allem das 360°- und Virtual-Reality-Angebot "Der Kölner Dom in 360° und VR" hervor. Die technisch eindrucksvolle und zugleich feinfühlige Gesamtumsetzung lässt die Nutzer staunen und begeistert sie zu einer völlig neuen Annäherung an das monumentale Bauwerk.

Ganz besonders fiel in diesem Jahr auf, wie Themen, die auf den ersten Blick eher kompliziert oder fremd wirken, durch ihre Aufbereitung interessant und erfahrbar werden. So zeigt der "Wochenendrebell", wie man Außenstehende leicht für das Thema Inklusion interessieren kann. Gerade der dazugehörige Podcast nimmt die Hörer mit in die Gedankenwelt eines Jungen mit Asperger-Syndrom und stellt gesellschaftliche Normen und Vorurteile auf sehr befreiende Art auf den Kopf. 

Das Format "Die mit den Händen tanzt" schafft auf eine ähnlich leichte Art einen unterhaltsamen Zugang zum Thema Gebärdensprache. Die Begeisterung der Protagonistin für ihre Berufung überträgt sich unmittelbar auf die Betrachter und nimmt sie mit in die Welt der Stille, die nicht so still ist, wie sie von außen scheint.

Auch eine Welt, die von außen ganz anders aussieht als von innen, ist die der "Datteltäter". Sie sorgen dafür, dass wir bei herzhaftem Lachen sämtliche Schubladen vergessen: Im klassischen Youtube-Format nehmen sich junge Muslime selbst aufs Korn und zeigen, dass Vorurteile eben Vorurteile sind und selten die Realität.

Die klassische Webreportage "Was heißt schon arm?" ist unter den Preisträgern schon fast ein Ausreißer. Doch gerade hier zeigt sich, dass es nicht immer ausgefallener Formen bedarf, um ein Thema wirkungsvoll zu vermitteln. Denn die Reportage schafft es, Armut aus verschiedenen Blickwinkeln zu porträtieren und so als wichtiges und aktuelles Thema zu positionieren, ohne reißerisch zu wirken. Bei diesem Angebot war sich die Jury einig, dass auch hier die richtige Form gefunden wurde. Denn es ist genauso bemerkenswert, auf mögliche Storytelling-Elemente im Web zu verzichten, wenn sie das Angebot nicht bereichern. 

Abschließend können wir als Jury sagen, dass die Ära des Copy-and-Paste der Print-Angebote und trockenen Longreads offenbar endgültig beendet ist. Denn die Scheu vor ungewohnten Darstellungsformen hat rapide abgenommen, wie die Nominierten und Gewinner beweisen. 

Die diesjährigen Preisträger und Nominierten zeigen, dass es sich durchaus lohnt eine Idee zu verfolgen, die Möglichkeiten des Webs auszunutzen und Grenzen auszutesten. Weiter so, denn nichts ist spannender als Vielfalt. Auch im Netz. Wir freuen uns schon jetzt auf die kommenden Publizistik-Pioniere, Überzeugungstäter und Herzensprojekte im Web.