Grimme Online Award 2013

Statement der Nominierungskommission des Grimme Online Award

Je besser das Gute im Netz ist, umso schwerer ist es, herauszuragen. Und je mehr gute Angebote im Internet zu finden sind, umso mehr sind auszeichnungswürdig. Beides trifft auf den Jahrgang 2013 zu. Erstmals in der Geschichte des Grimme Online Award haben wir in der Nominierungskommission das gesamte Kontingent der 28 möglichen Nominierungen in Anspruch genommen. Es waren am Ende oft sehr knappe und schwere Entscheidungen.

Zum ersten Mal nominieren wir in der Kategorie Spezial mit #aufschrei einen Hashtag, weil sich eine Bürgerbewegung dieses bereits etablierte Werkzeug und den Kanal Twitter zu eigen gemacht hat. Wir erlebten dadurch eine wirkungsvolle Demonstration im digitalen Raum, die es schaffte, einen enormen medienübergreifenden, immer noch andauernden Widerhall zu erzeugen. Zum ersten Mal wurden für uns auch die Leistungen einer einzelnen Person für (R)Evolutionen im Internet auszeichnungswürdig. Die demokratische Gesellschaft sowohl in der Netz- als auch in der Kohlenstoffwelt profitiert von Richard Gutjahrs Analysen, Impulsen und den von ihm initiierten beispielhaften Projekten wie "lobbyplag.eu" oder der "Rundshow". Das Sendeformat "vox:publica" zeigt exemplarisch, dass ein Bürgerradio in der Netzgemeinde nicht mehr den Menschen vorbehalten ist, die über eine besondere Ausrüstung oder Technikkenntnis verfügen: Mit einer App werden aus Hörern im Handumdrehen Journalisten, weit über die Möglichkeit von Höreranrufen hinaus.

Bei der Sichtung der Vorschläge haben wir festgestellt, dass responsives Webdesign noch längst nicht Standard zu sein scheint, wir haben viele Internetseiten gesehen, die nur für klassische Computerbildschirme umgesetzt wurden. Außerdem sind immer noch viele Angebote erklärungsbedürftig, weil sie nicht auf den ersten Blick oder Klick erfassbar und verständlich sind. Nicht so das in der Informationskategorie nominierte "fussballdoping.de", ein wichtiges Nischenthemen-Blog, das sich ein Tabuthema herausgegriffen hat und dieses verständlich und sorgfältig aufbereitet. Die "Prenzlauer Berg Nachrichten" sind ein Leuchtturmprojekt der hyperlokalen Berichterstattung. Bei dieser seit einigen Jahren bewährten Nachbarschafts-Onlinezeitung zeigt sich die Qualität in der detaillierten Recherche, Auswahl und überzeugenden Präsentation der Themen.

Während "Alsharq" vielfältige Einblicke verschiedener Autoren in die politischen und kulturellen Hintergründe des Nahen Ostens bündelt, publiziert "Der Postillon" tagesaktuelle Nachrichten, die den satirischen Stilbruch mit üblichen Nachrichtenformaten zelebrieren. Gerade daraus resultiert eine hohe virale Verbreitung, die sich auch große Online-Magazine wünschen dürften.

Unter den vielen Plattformen zur Bürgerbeteiligung ragt "Politnetz" wegen seiner Kombination aus nützlichen Informationskatalogen und gut genutzten Diskussionsmöglichkeiten beispielhaft heraus. Der politischen Debatte widmet sich auch "Publikative.org", eine Plattform, welche die Informationen und Diskussionen zum Geschehen am rechten Rand in unserer Gesellschaft beispielhaft bündelt.

Auszeichnungswürdig in der Kategorie Wissen und Bildung sind in diesem Jahr drei Webdokumentationen und eine App, in denen sich die Nutzer auf sehr unterschiedliche Weise sozial und historisch brisanten Themen nähern können: "Alma", ein Porträt über Gewalterfahrungen in Guatemala, die Tablet-App "Anne Frank im Land der Mangas", der virtuelle Geschichtsort "Hotel Silber" und "Keine Zeit für Wut", über das Leben in Fukushima zwei Jahre nach dem Unglück. Sie alle fesseln mit multimedialer Aufbereitung der Informationen und mit Liebe zum Detail – so können sie als Vorbild dienen für andere Projekte dieser Art.

Der "Europa-Atlas" kombiniert ein hervorragendes Dossier mit umfangreichem Datenjournalismus, der aktuelle Statistiken so aufbereitet, dass der Nutzer eingeladen wird, sie spielerisch zu entdecken. "Plan B" widmet sich der Alltagsperspektive junger Menschen in aktuellen Krisenregionen der Europäischen Union und überzeugte uns mit einem stimmigen Konzept und kreativen Infografiken.

Wie sich aktuelle gesellschaftliche Themen im Netz niederschlagen, zeigen auch verschiedene Angebote zur Inklusion. Die Bandbreite der diesjährigen Vorschläge reichte von freizeitlichen Einzelleistungen über langanhaltendes ehrenamtliches Engagement im Team bis hin zu professionellen Produktionen. So sensibilisiert "Leidmedien.de" Journalisten wie die Öffentlichkeit für die richtige Wortwahl bei der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung.

Die nominierten Podcasts und Radioformate bieten auf ihren Websites deutlichen Mehrwert: "Soziopod" behandelt wichtige Themen eindrucksvoll im philosophischen Zwiegespräch, Hörer kommentieren und ergänzen die Folgen. "Was glaubst Du denn?" bringt ein hörenswertes Radio-Kinderprogramm ins Netz. Zusammen mit ihren Eltern können Kinder sich online dem Thema Religion nähern und dabei gemeinsam gute Medienerfahrungen sammeln.

Bildungsangebote für junge Leute funktionieren besonders gut auf YouTube: Johann Beurich zeigt mit "DorFuchs", wie gut und einfach Peer-to-Peer-Nachhilfe per Video möglich ist. Er erklärt singend mathematische Regeln und Erkenntnisse und sorgt didaktisch für eine hohe Erinnerbarkeit, indem er Merksätze, grafische Darstellungen, Melodien und Schrift miteinander kombiniert. Volksbildung im besten Sinne bietet auch "Stefans Musikworkshop", der auf anspruchsvolle und gleichzeitig unterhaltsame Weise neue Zugänge zur klassischen Musik eröffnet.

Kultur und Unterhaltung sind auch 2013 im Web bestens vertreten. In der Fußballwelt heben die "11FREUNDE" jetzt auch den Liveticker auf ein unterhaltsames, manchmal abseitiges, eben sehr eigenes Niveau, und "marcel-ist-reif.de" setzt bei der Kommentierung von Spielen ganz auf die Stimme(n) des Volkes.

Bei "WDR Digit" finden analoge Fotografien aus der Vor-Internetzeit den Weg ins Netz, wobei dem hohen Aufwand der Rundreise mit dem Scanmobil durch Nordrhein-Westfalen die journalistische Aufbereitung ausgewählter Fundstücke folgt. Auch die "museumsplattform nrw" macht Offline-Inhalte virtuell erfahrbar: Die gelungene visuelle Umsetzung, kombiniert mit verständlichen Texten und ausgeklügelter Navigation, motiviert zu einem realen Besuch in den beteiligten Museen. Ganz anders, aber in der Navigation mindestens genauso originell, geht "FAUST II_PUNKT_NULL" mit Kulturgut um: Hier spiegeln sich Goethes Werk und die aktuellen Entwicklungen der Wirtschafts- und Finanzwelt wechselseitig wider. Kultur entsteht aber auch direkt im Netz. Das beweisen die mit Klischees spielenden Macher des "migrantenstadl", die das Thema Migration anarchistisch und humorvoll auf eine andere Art anpacken. Oder auch der "Kioskforscher", der der gedruckten Magazinkultur im deutschsprachigen Raum ein digitales Denkmal setzt. Hier zeigt sich, wie gut Blogs mit klassischer Schrift-Bild-Medienkombination fürs Publizieren funktionieren, auch wenn in diesem Jahr vermehrt Videoformate vorgeschlagen wurden. Mit der Online-Casting-Show "RAPutationTV" wird schließlich ein Projekt nominiert, das stimmig Format und Medium einsetzt, um junge Menschen und Regierende in Kontakt zu bringen.

Unser Fazit für den Jahrgang 2012/13: Die vernetzte Vielfalt hat in diesem Jahr vor allem beim publizistischen Niveau zugelegt, Innovationen entstanden hauptsächlich in der klugen Kombination bestehender Modelle, Techniken und im kreativen und ungewohnten Einsatz etablierter Werkzeuge und Plattformen.