Angesichts der Vielzahl hochwertiger nominierter Websites bedeutet die Preisträger-Auswahl der Jury immer zugleich ergriffene Chance wie verpasste Möglichkeit. Zugegriffen hat die Jury in diesem Jahr bei Websites, die den kommunikativen Ansatz betonen und genau hier den Unterschied machen. Webspezifische Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten werden inzwischen - Blog sei dank - rege und selbstverständlich genutzt. Jetzt kommt es auf die kleinen, aber feinen Qualitätsunterschiede an: Wie souverän und stimmig werden sie ins Gesamtangebot integriert? Findet ein intelligenter, verspielter, ironisch gebrochener oder bewusst reduzierter Umgang mit ihnen statt? Das Antworten mit eigenen Web-Videos auf bestehende Videos bei „Polylog.tv“, nach unten offene Kommentarspalten im Blog des Medienjournalisten Stefan Niggemeier oder die publizistische Betätigung über das lokale Geschehen in Freiburg („Fudder“) sind Beispiele dafür, dass die Nutzer nicht nur beiläufig auf Form und Inhalt Einfluss nehmen können.
Blogs sind stark wie nie. Sie entfalten sich in ihrer Vielgestaltigkeit, ihr eigener Charakter prägt sich aus und vor allem lassen sich Blogs nicht diktieren wie sie zu sein haben. Sie werden aufgebohrt und öffnen die Kommentarspalten „nach 100 Jahren“, wie im Fall des prämierten Droste-Hülshoff-Projekts. Sie überzeugen durch Rhetorik und Textqualität. Und sie kommunizieren mit dem User auf Augenhöhe, wie etwa die Tagesschau, die das Netzmedium in Richtung Fernsehen rückkoppelt.
Inzwischen selbstverständlich ist die Videointegration, trotzdem durchläuft diese Medienform aus unserer Sicht eine Findungsphase. Das passende redaktionelle Format wird häufig noch gesucht. Gefunden haben es das Video- und Debattenportal „Polylog“ und der „Elektrische Reporter“. Es ist der Jury nicht leicht gefallen, den „Elektrischen Reporter“ nachzunominieren, da ihr Mario Sixtus als Mitglied angehören sollte. Als eines der tonangebenden neuen Formate des vergangenen Jahres wollte und konnte die Jury den „Elektrischen Reporter“ nicht ignorieren. Als - wie üblich - zu Beginn der Jurysitzung mögliche Nachnominierungen erörtert wurden und dabei der Vorschlag gemacht wurde, auch den "Elektrischen Reporter" in die möglichen drei Nachnominierungen einzubeziehen, trat Mario Sixtus sofort von der Jury-Mitgliedschaft zurück.
Häufig bemängelt wurde auch in diesem Jahr die nachlässige Nutzerfreundlichkeit vieler Web-Angebote. Selbst für viele Großanbieter im Web ist die Usability offenbar nicht die oberste Maxime, was dazu führt, dass dem Nutzer schnelle und direkte Zugriffe auf Inhalte erschwert werden und Websites sich hermetisch abschotten. Fehlende „Netzhaftigkeit“ war gerade bei aufwändigen Webspecials zu kritisieren, von webspezifischen Kommunikationsqualitäten ganz zu schweigen.
Abschließend plädiert die Jury dafür, auch beim Grimme Online Award solchen Angeboten stärkere Aufmerksamkeit zu widmen, die nicht von Autoren oder klassischen Redaktionen geführt werden. Wir denken etwa an Websites, deren Inhaltsauswahl bzw. -anzeige auf Algorithmen basiert, die also wie selbstorganisierende Systeme arbeiten. Vielleicht liegt hier zukünftig die Chance, neue Trends auszuzeichnen. Diese Möglichkeit möchten wir nicht verpassen.