Grimme Online Award 2018

Statement der Nominierungskommission

Das Internet ist nicht nur ein Medium, sondern zunehmend auch ein Meta-Medium. Also ein Ort, an dem Inhalte und Formate gebündelt und um weitere Interaktionsmöglichkeiten ergänzt werden. Für die Nominierungskommission des Grimme Online Award bedeutete das einerseits, dass sich in der Fülle der guten bis herausragenden eingereichten Angebote viele video- und audiobasierte fanden. Multimediales Story- und „Scrollytelling“ – bis hin zu Erzählformen wie der ausschließlich für Smartphones gedachten und gemachten „Tapstory“ – ist der Normalfall; Journalistenschul-Jahrgänge gestalten Abschlussarbeiten selbstverständlich als multimediale Internetangebote. Klassische Blogs, die überwiegend aus Text bestehen und sich von Lesern nach individuellem Interesse auch schnell überfliegen lassen, sind – so scheint es – auf dem Rückzug begriffen.

Andererseits diskutierte die Kommission immer wieder auch über die „Webspezifik“ einzelner Angebote. Schließlich dürfen inzwischen auch vom klassischen Grimme-Preis, dem fürs Fernsehen, reine „Internet-Sendungen“ ausgezeichnet werden.

Thematisch umfassen die 2018 nominierten Angebote unterschiedliche Perspektiven auf unterschiedliche Zeiten, von der in den Timelines dominanten Echtzeit-Gegenwart und gründlicher publizistischer Nachbereitung von Aktualität, über die „Bewegten Jahre“ des Jugendstils, dessen Ästhetik das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe erzählerisch und stilistisch hervorragend für das Netz aufbereitet hat, bis hin zu den allerersten malenden Menschen. Deren eindrucksvolle Bilder in der sonst schwer zugänglichen „Grotte von Chauvet“ lassen sich nun in 360 Grad ansehen.

Neben Innovation, die im Internet naturgemäß einen besonders wichtigen Aspekt darstellt, spielte in den Diskussionen auch der „lange Atem“ eine Rolle. Er äußert sich etwa in zwei der Nominierungen in der Kategorie Spezial: Der Aktivist Raul Krauthausen macht seit Jahren konstant, auf innovative und herausragende Art über verschiedene Kanäle auf seine Anliegen aufmerksam. Ebenfalls nominiert wurde mit dem Verein „Digitalcourage e.V.“ einer der Akteure mit dem längsten Atem im deutschen Internet überhaupt. Sein Engagement für Datenschutz erscheint gerade im Jahr 2018, in dem der Datenskandal um Facebook und Cambridge Analytica auch in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, wichtig – nicht zuletzt, weil unter den ebenfalls relevanten Gesichtspunkten der Interaktivität und der Ansprache junger Zielgruppen Facebook und dessen Tochterfirmen wie Instagram weiterhin kaum wegzudenken sind. 

Im Bereich der videobasierten Angebote dominiert zusehends „funk“, das junge Online-Angebot von ARD und ZDF, das den zunächst gewünschten Fernsehkanal rundfunkstaatsvertragsgemäß nicht bekam. Formate wie „Y-Kollektiv“, „Jäger & Sammler“ und „Deutschland3000“, die auf ganz unterschiedliche, jeweils serielle und schnelle Weisen und auf verschiedenen Plattformen politisch-gesellschaftliche Themen an ein junges Publikum heranführen, haben sich weiter professionalisiert. Sie alle experimentieren mit neuen Formaten des Erzählens und Mut zur Haltung, wie auch das „Bohemian Browser Ballett“ mit seiner hochwertig spielerischen Satire. YouTuberin Mai Thi Nguyen-Kim macht die männerdominierte Welt der Naturwissenschaften amüsant und informativ schmackhaft und ragt so aus dem breit vertretenen Segment „Erklärvideo“ heraus. Dass „funk“-Angebote, außer auf den jeweiligen Plattformen, auch im Internetauftritt www.funk.net zu sehen sind, verdient eine lobende Erwähnung.

Bei den deutschsprachigen Audio-Podcasts differenziert sich eine vielfältige Landschaft mit ganz unterschiedlichen Ansätzen und auch Längen weiter aus. Während etwa „Was denkst Du denn?“ philosophische Themen aufgreift und neue alltägliche Zugänge zur Philosophie ergründet, stellt der „Halbe Katoffl Podcast“ nicht nur Deutsche mit völlig unterschiedlichen Migrationshintergründen vor, sondern zeigt auch beispielhaft, wie politisch diskutierte Themen persönlich, besonnen und bewegend besprochen werden können.

Immer wieder eine Rolle in den Diskussionen spielten auch die Produktionsbedingungen. Schließlich bedarf Onlinejournalismus, wenn er nicht über den Rundfunkbeitrag finanziert wird, anderer Finanzierung. So will die Genossenschaft der „RiffReporter“ qualitativ hochwertigen Wissenschafts-Onlinejournalismus fördern und zugleich freien Journalisten mit Hilfe von „Korallen“ Chancen zur Vermarktung eröffnen. Das Portal „Übermedien“ zeigt seit inzwischen zwei Jahren, wie nutzerfinanzierter Medienjournalismus im Netz tatsächlich funktionieren kann. Die „Crowdspondent“-Macherinnen finanzieren sich mit noch längerem Atem über projektbasiertes Crowdfunding. Und das Portal „EDITION F“ hat eine neue Zielgruppe definiert und sich zur relevanten publizistischen Marke entwickelt. Dabei gehen sie mit zur Finanzierung notwendigem Sponsoring transparent um. 

Im Bereich der bereits klassischen, weiterhin oft auf der Software „Pageflow“ basierenden Online-Reportage reicht das Spektrum von der gründlichen Nachbereitung der Aktualität, wie bei „Schmerz“, bis zu Themen, die sich anhand von klug ausgewählten Fragestellungen als überraschend zeitlos erweisen, wie „Das Geheimnis des Groove“. Auch der Verzicht auf omnipräsente erzählerische Mittel wie Video kann Reiz entfalten: So wird etwa bei „Die Akte Amri – Und der Staat sah zu“ trockenes Aktenmaterial in Form unbewegter Bilder eingebunden, spricht im Kontext für sich und vermittelt eine bei diesen Themen seltene Ruhe. Viel positive Bewegung ließ sich auch im Bereich des Datenjournalismus beobachten, in dem die Nominierungskommission über zahlreiche Angebote diskutierte und mit „Straßenbilder – Mozart, Marx und ein Diktator“ unter anderem eines nominierte, das die unterschiedlichen Schichten der deutschen Zeitgeschichte bis in die Gegenwart – in der, wie in jeder anderen Zeit, weiterhin Straßen benannt und umbenannt werden – offenlegt.

Im Bereich der Apps und der 360-Grad-Videos gab es weniger Vorschläge als im Vorjahr und diese konnten die Nominierungskommission (zu deren Arbeitswerkzeug weiterhin eine Virtual-Reality-Brille gehört) auch weniger überzeugen. Auch das mag belegen, dass die webspezifische Publizistik mitten in einem dynamischen, spannenden Entwicklungsprozess steckt – und es für Medienmacher wie -nutzer wichtig bleibt, aus der weiter wachsenden Fülle der medialen Formen für ihre Inhalte die richtigen auszuwählen.