Grimme Online Award 2025

"Krise frisst Experiment"

Nominierungen für den Grimme Online Award 2025 bekanntgegeben

„2025 steht im Zeichen der Konsolidierung,“ schreibt Matthias Leitner in seinem Bericht aus der Nominierungskommission des Grimme Online Award, aber: „Viele Einreichungen überzeugen durch sorgfältige Recherche, klare redaktionelle Haltung und hohe gestalterische Kompetenz.“ 28 Nominierungen waren möglich, am Ende haben es 25 Angebote auf die handverlesene Liste geschafft. Hinzu kommen drei weitere Nominierungen beim Sonderpreis „Künstliche Intelligenz“.

Die Nominierungskommission merkt jedoch an, dass es häufig an Experimentierfreude mangelt: „In einer Zeit multipler Krisen – von Kriegen über den Klimawandel bis hin zu wirtschaftlicher Unsicherheit und innenpolitischer Instabilität – agiert die digitale Publizistik vorsichtig. Innovation weicht Stabilität. Krise frisst Experiment“, so Leitner weiter in seinem Bericht aus der Nominierungskommission, dabei prägten zwei thematische Schwerpunkte die Einreichungen: „die Auseinandersetzung mit Israel und Palästina sowie die historische Aufarbeitung von NS-Zeit, DDR und Migrationsgeschichte“.

„Krise frisst Experiment" – die Einschätzung der Nominierungskommission ist treffend. Oft fehlt es zudem an Förderprogrammen, die innovative Ansätze ermöglichen. Umso mehr freue ich mich, dass der Online Award auch in diesem Jahr herausragende und qualitativ hochwertige Angebote der Netzpublizistik vereint – von Projekten der Erinnerungskultur bis hin zu Games, die spielerische Zugänge eröffnen“, so Çiğdem Uzunoğlu, Direktorin des Grimme-Instituts.

Spielerisch geht es beispielsweise in der Kategorie WISSEN UND BILDUNG zu, erneut können sich hier die Arolsen Archives über eine Nominierung freuen, diesmal mit ihrer „arolsen school Bildungsplattform“: Browserbasierte „Minigames“ mit Gegenwartsbezug befassen sich in multimedialer Vielfalt (interaktive Karten, Bildsammlungen, Filme, Dialogboxen mit Umfragen und Zusatzinfos, Interviews mit jungen Menschen mit unterschiedlichen Biografien) mit Vergangenheit, Verantwortung und aktuellen gesellschaftlichen Fragen. Ja, WISSEN UND BILDUNG lässt sich auch spielerisch vermitteln.

Nominiert ist in dieser Kategorie ebenfalls Mirko Drotschmann, der bereits seit 2012 mit seinem YouTube-Kanal „MrWissen2go“ aktiv ist, seit 2017 auch für funk und fast schon ein „Urgestein“ der Szene. Seinen über zwei Millionen Abonnent*innen bietet er – mit großer Kontinuität – eine kompetente Berichterstattung, exklusive Reportagen und #mirkosmeinung.

„Auch auf Social Media […] bleibt digitale Publizistik präsent. Zahlreiche Formate vermitteln Wissen präzise und erreichen beachtliche Reichweiten“, kommentiert die Nominierungskommission in ihrem Bericht. Gleichzeitig wird beklagt, jetzt mit Blick auf alle Einreichungen: „Leider zeigt sich immer wieder eine Tendenz zur kommunikativen Nachlässigkeit: Einige Formate rufen zwar ihre Zielgruppe zum Austausch auf, pflegen dann aber kaum den Dialog mit ihrer Community. Kommentare bleiben unbeantwortet, Hinweise ungenutzt, der Diskurs verkümmert zur Einbahnstraße.“

In der Tat sind Diskurse im Netz problematisch(er) geworden: Es mangelt an Räumen, wo Menschen einen respektvollen Austausch pflegen (können), wo sie glaubwürdige Informationen finden und ihre Daten nicht für kommerzielle Zwecke verwertet werden. Nur das Fediverse bietet hier noch eine Alternative zu den kommerziellen Angeboten US-amerikanischer oder chinesischer Provenienz, wofür Mastodon mit seiner antikapitalistischen Plattformlogik als Prototyp für dezentrale Netzwerke steht.

Daher wird in diesem Jahr der Mastodon-„Erfinder“ Eugen Rochko – stellvertretend für das Fediverse – in der Kategorie SPEZIAL nominiert. In der Kategorie INFORMATION ist - exemplarisch für den eingangs zitierten Themenschwerpunkt Israel und Palästina - die YouTube-Reportage „Gaza: wie Hilfskräfte den Krieg erleben“ von STRG_F nominiert. Sie wirkt dem Mangel an Bildern aus der Krisenregion entgegen und sorgt durch eine besondere Netzaufbereitung für Transparenz, was die Community in der Kommentarspalte honoriert. Dazu zählen auch die „Israel-Palästina Diaries“ auf dem Instagram-Account von Shai Hoffmann, die die unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven zu diesem komplexen Thema reportageartig sichtbar machen.

Zum zweiten Mal wird in diesem Jahr bereits der Sonderpreis „Künstliche Intelligenz“ verliehen, aus den Einreichungen wählte die Nominierungskommission hier drei Angebote aus: Bei der App „Dawn Chorus“ geht es um KI-basierte Erkennung von Vogelstimmen und ein hervorragendes Stück „Citizen Science“, beim multimedialen Scrollytelling „Eternal You“ um die Möglichkeit einer KI-basierten „Wiedererweckung“ von Verstorbenen zu neuem, kommunikativen Leben als Avatare – von Moritz Riesewieck und Hans Block, die bereits einen preisgekrönten Dokumentarfilm zum Thema erstellt haben und durch „The Cleaners“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. Nominiert wurde auch die Maus-
Themenseite des WDR zur „Künstlichen Intelligenz“ – eines der raren Angebote für die junge Zielgruppe.

„Künstliche Intelligenz war in diesem Jahrgang deutlich sichtbarer, als Thema, als Werkzeug, als Reflexionsfeld. Viele Formate erklärten die Funktionsweise von KI, setzten sie für Recherchen ein oder reflektierten ihre gesellschaftlichen Auswirkungen,“ freut sich die Nominierungskommission. Aber auch hier gibt es „Mangelerscheinungen“, so Matthias Leitner in seinem Bericht: „Was bislang weitgehend fehlt, ist eine gestalterische Aneignung. Nur wenige Formate nutzen KI, um neue Erzählweisen, visuelle Sprachen oder interaktive Formate zu entwickeln. Die Werkzeuge existieren, aber gestalterisch herrscht noch Zurückhaltung.“

Auf einen Blick: Alle Nominierungen zum Grimme Online Award 2005