Grimme Online Award 2025

Bericht aus der Nominierungskommission des GOA 2025

von Matthias Leitner

Rückzug ins Kerngeschäft

Der Grimme Online Award 2025 verzeichnete rund 500 Einreichungen und damit deutlich weniger als in den Vorjahren. Die Zahl allein sagt wenig, doch zusammen mit den beobachteten Inhalten und Formen zeigt sich: 2025 steht im Zeichen der Konsolidierung. Diese Entwicklung bedeutet keinen Qualitätsverlust. Viele Einreichungen überzeugen durch sorgfältige Recherche, klare redaktionelle Haltung und hohe gestalterische Kompetenz. Was jedoch oft fehlt, ist der Mut zum Formbruch, zur gestalterischen Freiheit. In einer Zeit multipler Krisen – von Kriegen über den Klimawandel bis hin zu wirtschaftlicher Unsicherheit und innenpolitischer Instabilität – agiert die digitale Publizistik vorsichtig. Innovation weicht Stabilität. Krise frisst Experiment.

Podcasts zwischen Erbe und Potenzial

Podcasts dominieren weiterhin das Feld. Viele dieser Formate arbeiten seriell, erzählen sorgfältig und nutzen ihre Mittel professionell. Doch obwohl sie im digitalen Raum publiziert werden, denken nur wenige Einreichungen Podcast als vernetztes Format, das Kontextualisierung, Weiterverlinkung und Interaktion einbezieht. Das Audio steht im Zentrum, Formate werden vor allem linear gedacht und das Potenzial der Online-Sphäre bleibt oft ungenutzt.

Social Media: Reichweite ohne Resonanz?

Auch auf Social Media, besonders auf TikTok und Instagram, bleibt digitale Publizistik präsent. Zahlreiche Formate vermitteln Wissen präzise und erreichen beachtliche Reichweiten. Leider zeigt sich immer wieder zeigt eine Tendenz zur kommunikativen Nachlässigkeit: Einige Formate rufen zwar ihre Zielgruppe zum Austausch auf, pflegen dann aber kaum den Dialog mit ihrer Community. Kommentare bleiben unbeantwortet, Hinweise ungenutzt, der Diskurs verkümmert zur Einbahnstraße.

Digitale Öffentlichkeit auf fragilen Fundamenten

Ein grundsätzlicher Befund betrifft die Plattformlogik selbst. Digitale Öffentlichkeit entsteht fast ausschließlich auf kommerziellen Plattformen mit problematischer politischer und ökonomischer Ausrichtung. Diese Tendenz verschärft sich aktuell weiter. Die Architektur dieser Plattformen folgt nicht demokratischen, sondern ökonomischen Prinzipien: Datenhandel, Nutzerbindung, algorithmische Steuerung. Formate, die auf alternativen, gemeinwohlorientierten Plattformen wie Mastodon oder anderen selbstverwalteten Räumen des sogenannten Fediverse stattfinden, sind unter den Einreichungen nicht vertreten. Das zeigt ein strukturelles Defizit, das über inhaltliche Kriterien hinausreicht. 

Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut

 

Thematische Schwerpunkte und weiße Flecken

Zwei thematische Linien prägten die Einreichungen: die Auseinandersetzung mit Israel und Palästina sowie die historische Aufarbeitung von NS-Zeit, DDR und Migrationsgeschichte. Positiv fiel auf, dass Museen, Gedenkstätten und viele kleine Institutionen zunehmend digitale Formate einreichen. Mit begrenzten Mitteln entstehen Inhalte, die für den digitalen Raum gedacht sind. Die Kommission bewertet solche Projekte nicht im Vergleich mit großen Redaktionen, sondern kontextsensibel. Entscheidend ist nicht der Produktionsaufwand, sondern die Relevanz, der Zugang und die erzählerische Klarheit.

Auffällig war auch, was fehlte: Der Klimawandel spielte kaum eine Rolle, ebenso wenig die anstehende US-Wahl oder andere internationale Perspektiven. Auch Formate für Kinder blieben eine Ausnahme. Der Bereich Barrierefreiheit wurde selten strukturell mitgedacht. Zwar thematisierten einzelne Projekte Inklusion, doch in der Umsetzung digitaler Barrierefreiheit herrscht Nachholbedarf. Künftig sollte sie Standard sein, oder nachvollziehbar begründet, wenn bestimmte Anforderungen nicht erfüllt werden können.

KI & Immersion - Zwischen Reflexion und Randphänomen

Künstliche Intelligenz war in diesem Jahrgang deutlich sichtbarer, als Thema, als Werkzeug, als Reflexionsfeld. Viele Formate erklärten die Funktionsweise von KI, setzten sie für Recherchen ein oder reflektierten ihre gesellschaftlichen Auswirkungen. Was bislang weitgehend fehlt, ist eine gestalterische Aneignung. Nur wenige Formate nutzen KI, um neue Erzählweisen, visuelle Sprachen oder interaktive Formate zu entwickeln. Die Werkzeuge existieren, aber gestalterisch herrscht noch Zurückhaltung.
Auch immersive Technologien – XR und das so genannte Metaverse – tauchten nur vereinzelt auf. Die Hürden sind hoch, doch das Feld bleibt relevant für künftige Formate, die nicht nur Inhalte, sondern ganze Erfahrungsräume schaffen könnten.

Datenjournalismus: Struktur statt Spektakel

Datenbankprojekte und datenjournalistische Formate überzeugten besonders dann, wenn sie Komplexität zugänglich machten. Gerade bei Themen wie Wahlen, Sicherheitspolitik oder bei ökonomischen Zusammenhängen zeigen diese Formate ihre Stärke: Sie stellen Verbindungen her, machen Strukturen sichtbar und bieten Nutzer*innen explorative Zugänge.

Sicherer Stand statt Aufbruch

Der Jahrgang 2025 zeigt eine digitale Publizistik, die funktioniert, Verantwortung übernimmt und gesellschaftlich relevante Themen behandelt. Doch sie bewegt sich auf bekannten Pfaden. Innovation geschieht an den Rändern, dort, wo Journalismus, Kunst, Wissenschaft und Technologie aufeinander treffen. Für die kommenden Jahrgänge wünschen wir uns - wie unsere Vorgänger*innen - mehr Experiment, mehr Leichtigkeit, mehr Angebote für Kinder, mehr Inklusion. Und Formate, die nicht nur über digitale Öffentlichkeit sprechen, sondern diese auch anders gestalten. 

Ein Dankeschön an den Jahrgang 2025
Ein großer Dank gilt allen Einreichenden des Jahrgangs 2025 und den Teams, die diese Projekte möglich gemacht haben. Für uns als Kommission war es eine Ehre, ihre Arbeiten zu sichten. Auch wenn es unsere Aufgabe ist, mit kritischem Blick zu einzuordnen und bewerten, bleibt festzuhalten: Die digitale Publizistik 2025 ist vielfältig in ihren Formen, tief in ihrer Auseinandersetzung und in bewegten Zeiten relevanter denn je für unsere digitale Öffentlichkeit.