Kaum Innovation, starke Themen, aber noch Luft nach oben: So lässt sich der Eindruck der Jury in diesem Jahr zusammenfassen. An Scrollytelling-Formaten hat man sich über die Jahre müde gescrollt, TikTok und Instagram sind 2025 nun wirklich keine neuen Ausspielwege mehr, Podcasts und klassische Video-Formate kommen für den Grimme Online Award nur infrage, wenn sie dezidierte Onlinebezüge haben. So konzentrierten sich die Diskussionen weniger auf Technologie und Innovation, sondern eher auf kluge Konzepte, gut aufbereitete Themen, die passgenau ausgespielt werden, auf umfangreiche Recherchen, übersichtlich vermittelte Informationen und eine ansprechende visuelle Aufbereitung.
Die Jury konnte sich dem Urteil der Nominierungskommission „Krise frisst Innovation“ und der Kritik an mangelnder Experimentierfreude in der Branche ohne Zögern anschließen. An dieser Stelle ein herzlicher Dank für die Zeit und Arbeit, die die Mitglieder investiert haben, um aus den vielen Einreichungen die nominierten Formate auszuwählen.
Thematisch wurde ein breites Spektrum abgedeckt: Gesellschaftspolitisch relevante Themen waren mit den Bereichen Femizide und Gesundheit, Rechtsextremismus und Polizeigewalt, Leben mit Behinderung, verschiedenen Aspekten rund um die deutsche Migrationsgesellschaft, Wahlen und der Arbeit des Bundestags häufig vertreten. Gesundheitswissen und geschichtliche Themen zur DDR und der NS-Zeit hatten ebenso ihren Platz wie die Lage in Gaza und die Auseinandersetzung damit.
Was beim Blick auf die Plattformen auffiel: Der Korridor ist hier mit Fokus auf Instagram, TikTok und YouTube recht schmal. Thematisch waren etwa Angebote zur Klimakrise unterrepräsentiert, besonders im Hinblick auf die Dringlichkeit des Themas. Soziale Themen wie der angespannte Wohnungsmarkt oder das angeschlagene Rentensystem waren genauso wenig vertreten wie der Umgang mit digitalen Technologien. Gaming hingegen scheint eine zunehmend größere Rolle zu
spielen – noch nicht so sehr auf inhaltlicher Ebene, aber bei der Konzeption einzelner Formate wie etwa der interaktiven Graphic Novel „Herbst ’89“ oder dem politischen Bildungs-Game „Deine Stimme“ für Schulklassen.
Ein Blick auf die ausgezeichneten Formate 2025 zeigt: Nach der Dominanz historischer Themen im vergangenen Jahr gibt es in diesem Jahr ein deutlich gemischteres Feld. Drei Angebote überzeugten in der Kategorie Wissen und Bildung: Die „Barrierebrecher“ füllen mit ihrem Angebot auf verschiedenen Kanälen eine publizistische Lücke und nutzen die Möglichkeiten des Internets, um hautnahe und aufrüttelnde Einblicke in den Alltag von Menschen mit verschiedensten Behinderungen zu geben.
Als „Gynaekollege“ klärt Dr. Mertci über den menschlichen Körper, vor allem über gynäkologische Gesundheit auf. Ohne großes redaktionelles Team bildet er mit seinem Instagram-Kanal auf sensible Art und mit klarer Sprache ein Gegengewicht zu all dem Halbwissen und den Falschinformationen, die zu dem Thema kursieren. Ähnliches gelingt dem TikTok-Kanal „Know & Grow“: Mit seinen aufwändig produzierten Videos erreicht er durch unterhaltsames und gut recherchiertes Debunking zu Fitness- und Gesundheitsmythen eine Zielgruppe, an die klassische Medien kaum noch herankommen.
Im Bereich Kultur und Unterhaltung überzeugte das gamifizierte Geschichtsformat „Herbst ’89“ über die Proteste in der Endphase der DDR. Mit schöner visueller Gestaltung, einer Vielfalt an Perspektiven und spielerischen Elementen leistet es einen wichtigen Beitrag zur Geschichtsvermittlung im Netz. Der Instagram-Kanal „Little Monsters“ des WDR zeigt Betroffenen von sozialen Ängsten, dass sie nicht allein sind. Hier entsteht ein grafisch schön gestalteter und mit psychologischem Fachwissen unterfütterter Raum für Austausch, gegenseitige Unterstützung und Akzeptanz.
Der Podcast „Parlamentsrevue“ erhält den einzigen Preis in der Kategorie „Information“. Mit Liebe zum Detail und auf zugängliche Weise nimmt Sabrina Gehder ihre Hörer*innen mit in die Plenardebatten des Bundestags. Mit großem individuellem Engagement schafft sie es, die Parlamentsarbeit anschaulich darzustellen und Informationen zugänglich zu vermitteln.
Mit einem „Spezial“-Preis würdigt die Jury die akribische und unermüdliche Arbeit des Instagram-Kanals „Femizide stoppen“. Lilly und ihr Team machen die Dimension von Morden an Frauen aufgrund ihres Geschlechts sichtbar. Indem sie dieses Problem grundsätzlich betrachten, und nicht nur, wenn die Taten von Ausländern oder Menschen mit Migrationshintergrund begangen werden, füllen sie eine mediale Lücke. Ein zweiter Spezial-Preis geht an die Microblogging-Plattform Mastodon, stellvertretend für die Idee des Fediverse. Der Verbund unabhängiger Netzwerke besinnt sich auf das ursprüngliche Versprechen des Internets zur freien Vernetzung. Mit offenen Protokollen und Open Source bricht dieses „föderierte Universum“ die kommerzielle Idee von Plattformen als „walled gardens“ unter Kontrolle großer Tech-Konzerne, auf die sich Medien und Öffentlichkeit zunehmend konzentrieren. Die Jury hat sich für diese Auszeichnung auch als Zeichen gegen Plattformautoritarismus in gesellschaftlich und politisch angespannten Zeiten entschieden.
Es gab viele weitere Beiträge mit den relevanten Themen unserer Zeit, die Anerkennung verdienen, etwa zum Krieg in Gaza, zur NS-Geschichte, zu Rechtsextremismus, Polizeigewalt, Krankheiten, Klimawandel oder Migration. Der Jury fehlte es am Ende für eine Auszeichnung mit dem Grimme Online Award 2025 teils an Übersichtlichkeit, onlinespezifischer Aufbereitung oder thematischer Tiefe.